Wissenschaftsrat

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Volle Schubkraft: Die Digitalisierung des deutschen Gesundheitssystems kann nicht länger warten

Erschienen zuerst in Research.Table am 06. April 2023

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will die Digitalisierung des deutschen Gesundheitssystems beschleunigen. Es ist höchste Zeit. Deutschland droht international weiter abgehängt zu werden, wenn bei der Nutzung von Gesundheitsdaten in Forschung und Versorgung nicht zügig der Hebel auf volle Schubkraft umgelegt wird.

Die deutschen Defizite sind hinlänglich bekannt: Für die Gesundheitsforschung wichtige Daten sind entweder gar nicht vorhanden, oder sie liegen verteilt in getrennten Datensilos. Sie werden in verschiedenen technischen Systemen gespeichert, die nicht miteinander „sprechen“ können. Für die Forschung ist der Zugang oft unmöglich oder aufgrund der Vielzahl an Regularien und einzubindenden Stellen mit fast schon prohibitivem Aufwand verbunden. Gar unüberwindbare Hürden drohen bei datenintensiver Forschung, bei der Nutzung von Gesundheitsdaten für die Prävention oder bei der Hilfe für Menschen mit sehr seltenen Erkrankungen.

In kaum einem anderen Bereich wird noch so viel mit Papier und Fax-Gerät gearbeitet wie im Gesundheitssystem. In der Pandemie wurde weithin sichtbar, welche Nachteile das bringt. Sowohl für die öffentliche Gesundheitsvorsorge als auch für die Forschung – etwa zu Therapien und Impfstoffen, zu Wirkungen und Nebenwirkungen. Deutschland war auf Daten und Forschungserkenntnisse aus anderen Ländern angewiesen. So können die Forschung und das Gesundheitssystem weder das eigentlich im großen Maß vorhandene Innovationspotenzial entfalten, noch die Bürgerinnen und Bürger von den Chancen der modernen Medizin profitieren. Der rasche Zugang zu neuartigen Behandlungsmöglichkeiten droht verbaut zu werden. Der Wissenschaftsrat hat in seinen Empfehlungen zur Digitalisierung und Datennutzung in Gesundheitsforschung und Versorgung aus dem letzten Jahr deshalb klar betont: Falsch verstandener Datenschutz kann Menschenleben kosten.

Der Verweis auf die richtigerweise strengen europäischen Datenschutzregeln darf keine Ausrede sein. Das Beispiel von Ländern wie Dänemark, Estland, Österreich oder Finnland zeigt, dass der zwingend notwendige Schutz von Gesundheitsdaten einem modernen, digitalisierten Gesundheitssystem nicht im Wege steht. Im Gegenteil: Die Datenschutzgrundverordnung der EU setzt zwar im internationalen Vergleich sehr hohe Schutzstandards, doch sie ermöglicht selbstverständlich die Datennutzung für medizinische Versorgung und Forschung. Klug umgesetzt in deutsches Recht, würde sie erhebliche Vereinfachungen und Vereinheitlichungen im Flickenteppich des Datenschutzes hierzulande ermöglichen.  

Ein chancenorientierter, forschungsfreundlicher Umgang mit Daten ist durchaus im Sinne der Bürgerinnen und Bürger. Schon jetzt erlauben viele bereitwillig, dass ihre Smartwatch Gesundheitsdaten erhebt und an global agierende Tech-Konzerne weitergibt – auf die die öffentliche Forschung nur beschränkt und gegen Bezahlung Zugriff hat. Umfragen belegen, dass es in der Bevölkerung eine große Bereitschaft gibt, eigene Daten für Forschungszwecke bereitzustellen. Altruismus und Solidarität sollten nicht unterschätzt werden. So stimmen über 90 % der in eine Studie befragten Krebspatientinnen und -patienten einer Datenspende zum Wohle anderer Betroffener zu, wenn ein verantwortungsvoller Umgang mit ihren Daten garantiert ist. Auch die Akzeptanz einer gut regulierten Nutzung von Daten durch die Industrie dürfte seit der Pandemie und dem Beispiel der Impfstoffentwicklung durch die deutsche Firma BioNTech gestiegen sein.

Die nun vorgestellte Digitalisierungsstrategie des Gesundheitsministeriums entspricht in vielen Punkten den Positionen des Wissenschaftsrats. So soll die Nutzung von Gesundheitsdaten für die Forschung mit verschiedenen Maßnahmen ermöglicht werden. Dazu gehört etwa die sogenannte Opt-Out-Regelung für die elektronische Patientenakte: Sofern die Patientin und der Patient nicht aktiv widersprechen, werden ihre Daten in der elektronischen Patientenakte hinterlegt und gespeichert. Sie können dann datenschutzkonform für die Versorgung sowie – über das Forschungsdatenzentrum Gesundheit – für die Forschung genutzt werden. Dies wäre ein wichtiger Grundstein für eine digitale Vernetzung, die – alltagsfest und unkompliziert umgesetzt – allen nutzt. Profitieren würden Patientinnen und Patienten, das Gesundheitspersonal ebenso wie die Forschung.

Hierfür ist in der Umsetzung noch viel zu tun. Doch das Beispiel anderer Länder zeigt, dass und wie es geht. Die Digitalisierungspläne des Gesundheitsministeriums enthalten viele richtige Ideen. Nun heißt es, nicht länger zu diskutieren, sondern umzusetzen.

Zum Original-Beitrag bei Research.Table