Anwendungsorientierung in der Wissenschaft – offen und souverän!
Forschende, Hochschulen und Forschungseinrichtungen sollen sich mit gesellschaftlichen Akteuren austauschen, kooperieren und strategische Partnerschaften aufbauen
Ausgabe 04 | 2020
Datum 03.02.2020
Wissenschaftlich erzeugtes Wissen und seine Anwendung sind zentrale Treiber für technologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel. Zunehmend bestehen Erwartungen an das Wissenschaftssystem, Antworten auf große gesellschaftliche Herausforderungen zu finden sowie einen Beitrag zu dringend erforderlichen Innovationen zu leisten.
„Grundlagenforschung und angewandte Forschung in der Wissenschaft sind längst keine starren Gegensätze mehr“, sagt Martina Brockmeier, die Vorsitzende des Wissenschaftsrats. Mit dem vorliegenden Positionspapier zur Anwendungsorientierung in der Wissenschaft will der Wissenschaftsrat vielmehr das Kontinuum zwischen diesen beiden Polen betonen und eine Offenheit in beide Richtungen anregen: „Forscherinnen und Forscher sollten sich zügig in beide Richtungen neu- und umorientieren können, sowohl von der Grundlagen- zur Anwendungsorientierung als auch umgekehrt“, fordert Martina Brockmeier. Nur so können öffentlich finanzierte Wissenschaftseinrichtungen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung, zunehmenden Relevanzerwartungen und zugleich der Eigendynamik von Forschungsprozessen gerecht werden.
Wichtig sei es, dass Hochschulen und Forschungseinrichtungen die Offenheit und Souveränität der Forschenden durch unterschiedliche Maßnahmen unterstützen. „Freiräume für einen offenen Austausch, neue Kooperationsformen und Partnerschaften können nur dann entstehen, wenn alle Beteiligten die Eigenlogik von Forschungsprozessen respektieren, übersteigerte Relevanzerwartungen zurückweisen sowie an den Standards wissenschaftlicher Integrität und forschungsethischer Praxis festhalten“, so Martina Brockmeier.
Dies können die Einrichtungen nur leisten, wenn die Forschungsförderung entsprechend gestaltet wird. Für dringlich hält das wissenschaftspolitische Beratungsgremium eine Flexibilisierung der bestehenden öffentlichen und privaten Förderangebote: „Strikte Vorgaben hinsichtlich der thematischen Ausrichtung von Forschung und ihren Rahmenbedingungen, zum Beispiel Kooperationsvorgaben, können sich innovationshemmend auswirken“, erläutert Martina Brockmeier. Darüber hinaus muss sich das akademische Bewertungsregime deutlich verändern, damit Forschende bereit sind, sich für die Öffnung der Wissenschaft zu engagieren. Leistungen, die genau für diese Kooperationen und für den Austausch erforderlich sind, müssen als wissenschaftliche Leistungen anerkannt und entsprechend in die Bewertung einbezogen werden. Martina Brockmeier: „Ansonsten wirkt sich die geforderte Öffnung des Wissenschaftssystems negativ auf die akademischen Karrierechancen insbesondere des wissenschaftlichen Nachwuchses aus.“
Die Empfehlungen im vorliegenden Positionspapier richten sich an wissenschaftliche Gemeinschaften, Leitungen von Hochschulen und Forschungseinrichtungen, Wissenschaftsorganisationen, Wissenschaftsförderer, Unternehmen und zivilgesellschaftliche Akteure – sowie nicht zuletzt auch an die politisch Verantwortlichen in Bund und Ländern.