Bedrohte Wissenssicherheit
Cyberattacken, Einflussnahmen, Wissensabfluss: Ein Blick auf die Gefahren für deutsche Hochschulen und Forschungseinrichtungen
„Das deutsche Wissenschaftssystem ist für die dramatisch veränderte Sicherheitslage nicht gewappnet", betont der Vorsitzende des Wissenschaftsrats (WR) Wolfgang Wick. Die internationale Zeitenwende in der Sicherheitspolitik stellt Forschende, Hochschulen und unsere Gesellschaft vor fundamentale Herausforderungen. Der WR fordert jetzt eine stärkere Sensibilisierung für und einen professionellen Umgang mit Wissensrisiken.
Aber wie genau sehen die Bedrohungen für das Wissenschaftssystem aus? Die folgenden Beispiele geben einen Einblick in die vielseitigen Gefahren für Mensch, Infrastruktur und Forschung. Sie zeigen auch wie groß das Feld sicherheitsrelevanter Gebiete heute ist, das von der Biotechnologie über Extremismusforschung bis zur Künstlicher Intelligenz reicht.
Wissensabfluss
Die Entwicklung des sogenannten Khan-Netzwerks gilt als bekanntester Fall für den Abfluss von Wissen und seinen Missbrauch. Nach seiner Ausbildung an europäischen Universitäten konnte Abdul Quadeer Khan zum „Vater der pakistanischen Atombombe“ werden. Über sein Netzwerk konnte er Nuklearexpertise und -technologie an weitere Staaten wie Iran, Nordkorea und Libyen sowie an nichtstaatliche Akteure weitergeben.
Unerwünschte Einflussnahme
Eine Gefahr für die Wissenssicherheit ist die unerwünschte Einflussnahme, die sich sowohl auf Forschung und Lehre selbst als auch auf einzelne Personen und deren gesellschaftliche Rolle beziehen kann. So wissen wir beispielsweise von chinesischen Studierenden, die Vorlesungen an ihren Gastuniversitäten aufzeichnen. Dozierende werden den Behörden in der Heimat gemeldet, wenn sie aus Sicht Chinas „unerwünschte“ Inhalte lehren – also etwa Taiwan als unabhängiges Land bezeichnen.
Und umgekehrt gibt es Hinweise auf eine Einflussnahme der Volksrepublik China auf Wissenschaftseinrichtungen. So kam es zu Absagen virtueller Lesungen sowie Versuchen, die Verbreitung der Film-Dokumentation „In the name of Confucius“ über die wachsende weltweite Kontroverse zum Wirken der Konfuzius-Institute zu verhindern. Dies hat zu Presseberichten und zu weitergehenden politischen Aktivitäten und Beobachtungen durch das Bundesamt für Verfassungsschutz geführt.
Finanzielle und wissenschaftliche Abhängigkeiten
Finanzielle und wissenschaftliche Abhängigkeiten bestehen unter anderem bei Forschungs- und Dateninfrastrukturen, die von anderen Ländern finanziert oder bereitgestellt werden. Ein Beispiel dafür ist das Argo-Programm und seine 4000 frei treibende Messbojen. Diese sogenannten Argo-Floats sammeln seit Jahrzehnten wichtige Daten aus den Tiefen der Meere und übertragen diese an Datenzentren in den USA und Frankreich.
Auch Deutschland ist am Programm beteiligt, leistet mit jedoch mit weniger als 7 Prozent der Argo-Floats einen eher geringen Beitrag. Die USA hingegen stellen mehr als die Hälfte aller Bojen bereit. Was passiert, wenn der Zugang zu den Daten nicht länger gewährleistet, bzw. die gegenwärtige Netzwerkdichte nicht aufrechterhalten wird? Die Abhängigkeit birgt große Risiken für die Klimaforschung sowie aktuelle Vorhersagedienste.
Verletzung forschungsethischer Prinzipien
Quellenschutz ist ein Beispiel für eine zunehmend wichtiger werdende ethische Herausforderung. In Studien zu Migrationsfragen sprechen Forschende mit Geflüchteten und lokalen Kontaktpersonen aus Krisenregionen. Dabei werden auch politische Dynamiken und Sicherheitslagen beleuchtet.
Hier zeigt sich, dass bereits die Weitergabe kleinster Details – etwa die Nennung eines Dorfes oder einer Hilfsorganisation – schwerwiegende Konsequenzen für einzelne Personen haben kann, da Regime oder Sicherheitsdienste Betroffene identifizieren und verfolgen. Das Anonymisieren von Quellen ist unabdingbar und zugleich schwierig – vor allem bei bekannten Orten und Institutionen, über die gegebenenfalls in den Medien berichtet wird.
Partner aus kritischen Ländern
Mögliche Gefahren birgt auch die Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen oder wirtschaftlichen Kooperationspartnern. Beispielsweise, wenn ein Wissenschaftler aus einem als kritisch eingestuften Land an der Optimierung von hiesigen Strom- oder Wassernetzen mitwirkt.
Ein Risiko von Wissensabfluss besteht dabei in zwei Hinsichten: Zum einen können bewusste Fehler in KI-Modelle eingebaut werden. An die Stelle einer Verbesserung des Systems tritt dann möglicherweise die Beschädigung oder gar Zerstörung wichtiger Infrastruktur. Zum anderen basieren viele KI-Anwendungen auf sensiblen Datenbeständen. Ein Zugriff auf diese Daten ermöglicht ein umfassendes Verständnis der untersuchten Versorgungsnetze. Damit werden Aufbau und Funktion kritischer Infrastruktur in Deutschland oder auch Europa offengelegt und verwundbar.
Nationale Plattform für Wissenssicherheit
Aus Sicht des Wissenschaftsrats soll möglichst schnell eine Nationale Plattform für Wissenssicherheit eingerichtet werden. Als zentrale Anlaufstelle soll sie wissenschaftliche Akteure schnell und unbürokratisch bei der Einschätzung von Wissensrisiken mit umfassenden Informationen unterstützen.
Die folgende Abbildung fasst den Risikoeinschätzung idealtypisch – von der primären Ebene des oder der Einzelnen bis zu der noch einzurichtenden nationalen Plattform für Wissenssicherheit – zusammen.
Quelle: Wissenschaftsrat (2025), Wissenschaft und Sicherheit in Zeiten weltpolitischer Umbrüche | Positionspapier; Köln, S. 50
Weitere Informationen:
Podcast 9. Etage: #8 "Wissenschaftssicherheit: Zwischen Bedrohung und Verteidigung"
Pressemitteilung (12.05.2025): Das Wissenschaftssystem muss auf neue Sicherheitsanforderungen reagieren
Positionspapier (12.05.2025): Wissenschaft und Sicherheit in Zeiten weltpolitischer Umbrüche
English version of the Position paper: Science and security in times of global political upheaval
Fotos: Midjourney